Warum Sprinten besser ist als Joggen
Evolutionär ist der menschliche Körper fürs Stehen, Gehen, Laufen, Springen und Werfen ausgelegt, aber diesen simplen Bewegungen kommen wir heute kaum noch nach. Spätestens in der Schule sitzen wir stundenlang, Tag für Tag, auf unserem Hintern und trainieren nur noch unser Gehirn. Sportstunden nehmen immer weniger Raum in der Erziehung unserer Kinder ein und auch der Alltag des Berufstätigen ist durch extrem wenig Bewegung geprägt. Über 50% der Erwachsenen in Deutschland sind mittlerweile übergewichtig und auch wenn Ernährung hier ein ganz wichtiger Baustein ist, zählt Bewegung mindestens als zweitwichtigster Faktor, wenn es um das Thema Gesundheit geht.
In meinem Praxisalltag als Chiropraktor sehe ich allerdings so viele Menschen, die fundamentale Bewegungsabläufe wie Ausfallschritte, Kniebeugen oder Klimmzüge nicht mehr beherrschen. Um verkümmerte Muskulatur effektiv (nur effizientes und effektives Training ist heutzutage flächendeckend in den Alltag integrierbar) zu trainieren ist Krafttraining mit freien Gewichten eine sehr gute Möglichkeit, die allerdings wie jede Sportart auch ein paar Nachteile mit sich bringt. Denn Krafttrainingsübungen wie z.B. Kniebeuge oder Kreuzheben wirken vornehmlich der Erdanziehungskraft entgehen und wirken somit meist nur auf zwei Ebenen des Körpers. Vor allem die rotatorische Komponente ist schwer im Krafttraum zu reproduzieren. Das soll kein Plädoyer gegen das Krafttraining sein, sondern sensibilisieren, dass neben dem Krafttraining weiteres Training nötig ist, um nachhaltig seinen Bewegungsapparat zu trainieren.
Warum gerade Anfänger lieber Sprinten als Joggen sollten.
Während sich Joggen und Sprinten in ihren Bewegungsabläufen zwar sehr ähneln, sind sie doch insbesondere von der Kraftentwicklung und der Kraftrichtung extrem unterschiedlich. Konkret arbeitet die Muskulatur der Beine beim Joggen idealerweise eher als eine Art Federmechanismus und folgt damit Schritt für Schritt dem „kontrollierten Fallen“. Sprich, der Oberkörper wird leicht nach vorn gelehnt und die Geschwindigkeit, die durch die ersten Schritte erreicht wurde, wird durch das Setzen der Füße unter den Körperschwerpunkt gehalten. Insbesondere bei Sportlern, die nicht besonders fit, sind führt dies oft dazu, dass stark im Knie und der Hüfte nachgegeben wird. Spätestens, wenn dann durch die lange Belastung eines Dauerlaufs auch eine hohes Maß an Ermüdung eintritt, wird der Band- und Stützapparat (zu) stark belastet.
Auf den ersten Blick denkt man jetzt, dass Sprinten diese Kräfte durch die Geschwindigkeit um ein Vieles übersteigt und dem ist auch so, aber praktischerweise nutzt der Körper beim Sprinten ein ganz andere Energiesystem, dass deutlich früher ermüdet. Dadurch ist die Zeit, in der der Sportler unter hoher muskulärer Ermüdung sprintet, in Relation zum Joggen deutlich geringer.
Des Weiteren fallen technische Fehler und körperliche Defizite beim Sprinten wesentlich stärker ins Gewicht als beim Joggen. Auch hier lohnt es sich zweimal hinzuschauen. Im ersten Moment denkt man, dies sollte das Verletzungsrisiko doch erhöhen, was auch korrekt ist, wenn man die Defizite nicht korrigiert. Doch wenn man schon früh beim Sprinten sieht, dass die Technik nicht hinhaut (was beim Sprinten deutlich auffälliger ist als beim Joggen), ist man eher dazu geneigt seine Defizite anzugehen.
Der dritte und vielleicht wichtigste Punkt ist, dass das Sprinten eine der wenigen Sportarten ist, die die Gesäßmuskulatur gezielt nutzt. Während fast alle Sportarten sehr Oberschenkel Vorderseiten lastig sind (Quadriceps dominant), muss das Gesäß beim Sprinten aktiv genutzt werden, um den Sportler nach vorn zu beschleunigen. In Hinblick auf das aktuell allgemeine Problem der „glutealen Amnesie“ also der Tatsache, dass wir viel zu viel auf unserem Hintern sitzen, und nicht mehr wissen, wie wir unseren Hintern ansteuern sollen, ist Sprinten eine einfache und effektive Möglichkeit seinen Hintern zu reaktivieren.
Zu guter Letzt ist es auch aus Sicht des Stoffwechsels eine gute Idee andere Energiesysteme zu nutzen, um den Stoffwechsel aktiv zu halten. Jeder Reiz muss nach einer gewissen Zeit verändert werden. Laufen im gleichen Tempo, um dann „nur“ die Strecke zu verlängern, führt aus Sicht der Metabolik schnell zu einem ineffektiven Training. Wenn also das Ziel des Laufens ist „fit“ zu werden und nicht einen Marathon zu bestreiten, macht es einfach Sinn, sein Training in verschiedenen Intensitäten zu gestalten und da sind das Marathontempo und der Sprint zwei Extreme der gleichen Kurve.